Inhalt / Kritik
Rudolf Höß (Christian Friedel) hat es sich mit seiner Frau Hedwig (Sandra Hüller) und den fünf Kindern richtig schön gemütlich gemacht. Viel Zeit und Mühe haben sie in das Haus investiert, gerade auch den Garten, der Hedwigs ganzer Stolz ist. Sogar für ein Gewächshaus und ein kleines Schwimmbad war noch Platz, wo die Kinder sich austoben und das zum Mittelpunkt ihrer Gartenpartys wird. Außerdem hat Rudolf es nicht weit bis zu seiner Arbeit. Das Konzentrationslager Auschwitz, welches er leitet, ist direkt nebenan. Die Arbeit ist dabei durchaus anspruchsvoll. Da ist beispielsweise das neue Krematorium, mit dem die Menschen möglichst schnell und effizient getötet werden sollen. Und auch sonst hat er alle Hände voll zu tun, damit der Laden läuft …
Der Schrecken von Nebenan
Nachdem er sich ursprünglich mit Musikvideos und Werbespots einen Namen gemacht hatte, ist Jonathan Glazer seit dem Jahr 2000 auch als Regisseur von Spielfilmen tätig. Sonderlich produktiv war er in der Zeit nicht, seine Filmografie lässt sich an einer Hand abzählen. Dafür sind seine Werke ungewöhnlich. In dem Mystery-Drama Birth (2004) erzählte er von einem Jungen, der einer Frau gegenüber behauptet, er sei die Wiedergeburt ihres Mannes. Das Science-Fiction-Werk Under the Skin (2013) folgte einem Außerirdischen mit einem sehr einnehmenden Wesen, welches in Schottland auf Beutefang geht. Und so durfte man neugierig sein, was der Engländer vorlegen würde, als er sich 2023 mit The Zone of Interestzurückmeldete, nach einer Wartezeit von knapp zehn Jahren.
Im Vorfeld werden sicherlich manche etwas verwundert gewesen sein. Nachdem Glazer sich mit zwei Werken einen Namen gemacht hatte, die alle mit dem Fantastischsten spielen, stand nun ein Historiendrama an. Genauer nahm er sich des Holocausts an, wenn er seine Geschichte in Auschwitz ansiedelt, wo eines der bekanntesten Konzentrationslager war. Hauptfigur ist Rudolf Höß, der von 1940 bis 1943 Kommandant des Lagers war. Das Thema ist wichtig, zweifelsfrei, auch viele Jahrzehnte später. Aber es ist auch eins, das von vielen anderen behandelt wurde und sich wenig für die sehr ästhetisierten Filme des Briten anbietet. Und doch schafft er es, dem Stoff mit The Zone of Interestwieder seinen eigenen Stempel aufzudrücken und tatsächlich dem Schrecken eine neue Seite zu entlocken. Das Besondere: Er zeigt diesen Schrecken gar nicht, zumindest nicht direkt. Es handelt sich hierbei nicht um einen Film im Stil von Son of Saul, der den Horror spürbar machte.
Das Paradies auf dem Massengrab
Inspiriert von dem gleichnamigen Roman von Martin Amis zeigt der Film eine unauffällige deutsche Familie, die ein normales bürgerliches Leben neben dem Konzentrationslager führt. Es ist dieses Nebeneinander von selbstvergessener Gemütlichkeit und Massenvernichtung, die das Drama zu einem derart verstörenden Werk macht. Während nebenan Menschen sterben und schreien, versucht Hedwig, es sich und der Familie schön zu machen. Wie selbstverständlich werden Wertgegenstände der Ermordeten an sich genommen, die Protagonistin wird zu einem Geier im Pelzmantel. Dann und wann bricht das Grauen in The Zone of Interestdurch, wenn die Folgen des bestialischen Verhaltens jenseits der Mauern den Weg in das hermetisch abgeschlossene Paradies finden und dort für Ärger sorgen, teils Entsetzen. Die Familie hat das Leid so sehr abstrahiert, dass sie nicht daran erinnert werden möchte, was dies bedeutet.
Glazer verzichtet dabei aber auf das große Drama. Es ist vielmehr die Nüchternheit der Ereignisse, die Beiläufigkeit der Massenmorde, mit der er das Publikum so erschüttert. Das bedeutet jedoch nicht, dass der auf eine kunstvolle Inszenierung bekannte Regisseur auf einmal dokumentarisch arbeiten würde. Da sind noch genügend Elemente drin, mit denen er sich künstlerisch ausgetobt hat. Ob es die strengen Perspektiven sind, die zwischen Theateraufführung und Plansequenz schwanken, eine irritierende Musik von Mica Levi oder auch Nachtszenen, in denen einen Mädchen Nahrung für die Gefangenen versteckt: The Zone of Interestist kein Film, der nur Wert auf den Inhalt legt, sondern sich auch audiovisuell austobt. Und dann wäre da noch eine späte Szene, mit denen der Film die Vergangenheit kurz verlässt.
Eine faszinierende Zumutung
Das ist alles sehr sehenswert, sofern man mit dem harten Stoff umgehen kann. Das Drama, welches 2023 in Cannes Premiere hatte, ist faszinierend und eine Zumutung zugleich. Nach dem anfänglichen Schock kommt es aber durchaus zu einer gewissen Gewöhnung, Glazer, der auch das Drehbuch geschrieben hat, neigt wie schon letztes Mal bei Under the Skin zu Wiederholungen. Und wenn er doch mal aus dem Schema ausbricht, wird es mitunter willkürlich – etwa bei der besagten Szene zum Schluss. Doch auch wenn es da eben Punkte in The Zone of Interestgibt, die man kritisieren könnte, ist ein außergewöhnlichen Werk entstanden, das nicht allein aus politischen Gründen für zahlreiche wichtige Filmpreise im Rennen ist, sondern tatsächlich ein Kunstwerk ist, so ansprechend und hässlich wie das Leben, gleichermaßen fantastisch und banal.
Credits
OT:„The Zone of Interest“
Land:UK, Polen, USA
Jahr:2023
Regie:Jonathan Glazer
Drehbuch:Jonathan Glazer
Vorlage: Martin Amis
Musik: Mica Levi
Kamera: Łukasz Żal
Besetzung:Christian Friedel, Sandra Hüller
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